Auf Platz 17 in der Warteschleife

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Auf meinem Sofa im Wohnzimmer habe ich Mama erst einmal ein Bett gemacht. Hier hat sie auch immer geschlafen, wenn sie für ein paar Tage zu Besuch bei mir war. Aber nun ist das etwas anderes. Auf Dauer braucht sie ein Bett und ein eigenes Zimmer. Ich rufe beim Ambulanten Hospiz an. Ich brauche jemand, der uns helfen kann. Jemand, der sagen kann, wo wir Hilfe finden. Mama braucht doch auch hier einen Arzt. Mittlerweile nimmt sie starke Schmerzmittel. Ich vereinbare einen Beratungstermin beim Pflegestützpunkt und Maria, die Hospizfachkraft des Ambulanten Hospizes (www.wegweiser-hospiz-palliativmedizin.de ) kommt vorbei, um mit uns zu reden. Ob Mama denn mal für ein paar Tage auf eine Palliativstation möchte, um sich ein bisschen aufpäppeln zu lassen, fragt sie. Für Mama ist dies keine Option. In ein Krankenhaus möchte sie nie wieder, da ist sie 100prozentig sicher. Dann muss eben die palliative Versorgung zu uns nach Hause kommen. Maria stellt für uns einen Kontakt zu einem SAPV-Dienst (SAPV: Spezialisierte ambulante palliative Versorgung) her. Und sie bietet uns an, dass eine ehrenamtliche Hospizbegleiterin regelmäßig zu uns kommen kann. „Das muss nicht sein“, meint Mama. Sie will von ihren Kindern umsorgt werden, mehr nicht.  Außerdem befürchtet sie, dass sie die fremde Frau, die sie besuchen würde, unterhalten müsste. Und das ist ihr zu anstrengend. Dass diese „fremde Frau“ aber irgendwann in den dunkelsten Stunden zu einem Lichtblick für uns alle würde, ahnen wir noch nicht. Noch habe ich ein paar Tage Urlaub. Aber was ist danach? Allein zu bleiben, auch nur für Stunden, lehnt meine Mutter ab. Ich frage mich, warum. Denn eigentlich kann sie sich noch gut ohne jegliche Hilfe im Haus bewegen. Am 19. Oktober war sie zuhause sogar noch allein einkaufen. Dass rasend schnell ihre Kräfte sie verlassen würden, hätte an diesem Tag noch niemand gedacht, wahrscheinlich ahnte nur sie selbst, wie viel Zeit ihr noch bleibt. Ich kann eine Auszeit von der Arbeit für 10 Tage bei der Krankenkasse meiner Mutter beantragen ( www.wege-zur-pflege.de/themen/auszeit-im-akutfall ), das wird mir vom Pflegestützpunkt geraten. Das ist gut. Also rufe ich bei der AOK an. „Sie befinden sich auf Platz 17 in der Warteschleife“, sagt eine Stimme und anschließend dudelt nervige Musik durch den Hörer. Wir wollen gerade frühstücken. Da kann ich ja getrost das Telefon aus der Hand legen und mir erst einmal ein Brot schmieren. Ich stelle fest: Platz 17 ist ganz schön weit entfernt von Platz 1…, also esse ich auch noch das geschmierte Brot, trinke gemütlich Kaffee und warte, warte, warte. Wenigstens das Warten hat sich gelohnt. Ich kann den Antrag stellen und auch mein Arbeitgeber ist damit einverstanden. Puhhh… Erst einmal eine Sorge los. Dieser Warteschleife sollen übrigens in den nächsten Tagen noch viele andere folgen. Auf Anraten des Pflegestützpunktes beantrage ich auch direkt eine Pflegestufe. Viel Papierkram muss in den nächsten Wochen erledigt werden.

Der informierte SAPV-Dienst ( www.wegweiser-hospiz-palliativmedizin.de ) übernimmt die Versorgung meiner Mutter ganz unkompliziert. Die Ärztin stellt sie erst einmal medikamentös so ein, dass sie sich nicht mehr übergeben muss und auch keine Schmerzen mehr ertragen muss. Sie verschreibt ihr ein Pflegebett und einen Toilettenstuhl (Kommentar von Mama: „Was soll ich denn damit?“). Um die Hilfsmittel bei den Sanitätshäusern zu ordern, vergehen ungezählte Minuten in Warteschleifen, wie sollte es auch anders sein? Die Palliativschwester Birgit, die mir diese lästigen Anrufe abnimmt, sorgt sich derweil um die Akkuleistung ihres Handys. In der Wartezeit versorgt sie in aller Ruhe meine Mutter mit den notwendigen Medikamenten. Birgit wird im Verlauf der nächsten Wochen noch häufiger in der Warteschleife von Krankenkasse und Sanitätshäusern hängen und das ein oder andere Mal wird sie ihren Gesprächspartnern am anderen Ende der Leitung so richtig ihre Meinung sagen. Denn so einfach ist es nicht, das zu bekommen, was ein schwerkranker Mensch in der letzten Phase seines Lebens benötigt. Noch heute höre sie mehrmals von einer „hoch palliativen Situation“ sprechen.  Und es hört sich so an, als wolle man am anderen Ende der Leitung gar nicht verstehen, was dies bedeutet. Da muss man, beziehungsweise Schwester Birgit, auch schon mal laut werden. Aber das kann weder ich noch meine Schwester Sabine, die irgendwann auch bei uns einzieht, um mit mir Mama zu versorgen. Unsere Kraft und Energie werden nämlich an ganz anderer Stelle gebraucht.  Gegen starre Vorschriften, Paragrafen und Formalien anzukämpfen, ist eigentlich das Letzte, was wir jetzt können.

 

Dieses Video auf der der Homepage des Deutschen Hospiz- und Palliativ Verbandes (DHPV) fasst zusammen, welche Unterstützung am Lebensende möglich ist: